Aus der Lebenshilfe-Werkstatt zum Seniorenbetreuer

Kommunikation und soziale Empathie – zwei Attribute, die Christoph Weinreich in sich vereint. Und die ihn geradezu prädestiniert für die Arbeit mit Menschen machen. Doch der 30-jährige Schöppenstedter ist dabei ein besonderer Fall.

Er arbeitete viele Jahre in der Werkstatt der Lebenshilfe Wolfenbüttel. Als Mensch mit Behinderung konnte er lange Zeit nur davon träumen, seinen Wunschberuf ergreifen zu können. Noch immer haben Menschen mit Behinderung mit Vorurteilen zu kämpfen, es herrscht Skepsis bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit. Aber mit Unterstützung der Lebenshilfe, des Landkreises Wolfenbüttel und dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration kann Christoph Weinreich tatsächlich seinen Wunsch wahr werden lassen.

Seit dem 1. Juni arbeitet er als therapeutischer Assistent in der Seniorenbetreuung Schloss Schliestedt. "Dabei setzen wir ihn nicht wie einen Praktikanten ein. Er hat einen klaren Aufgabenbereich, der im Vorfeld auf ihn zugeschnitten wurde", erklärt Heimleiterin Sabine Resch-Hoppstock.
Um sich Näheres über die genauen Arbeitsbereiche Weinreichs zu machen, besuchte Karl Finke, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen, die Seniorenbetreuung. "Viele Arbeitgeber haben den falschen Denkansatz. Sie sollten nicht sehen, was die Menschen mit Behinderungen nicht können, sondern was sie können", meinte Finke.

Er erklärte, dass die Stelle für Christoph Weinreich über das Budget für Arbeitsplätze des Landes Niedersachsen finanziert wird. "Diese Mittel stellen nur Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zur Verfügung." In Niedersachsen gibt es zurzeit 30 bis 35 Menschen mit Behinderungen, die über das Budget in Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert wurden. Viel zu wenig, wie Finke und auch Axel Kossmann von der Lebenshilfe Wolfenbüttel finden. "Von einer Integration auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist Deutschland noch weit entfernt", sagt Kossmann.

Gerade deshalb solle das Beispiel von Christoph Weinreich eine Motivation für andere sein. Sowohl für die Menschen mit Behinderung, sich den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt zu trauen, als auch für die Arbeitgeber.

Machen vor, wie Integration behinderter Menschen auf demersten Arbeitsmarkt funktionieren kann: (von links): Ina Halbe (Ergotherapeutin), Sabine Resch-Hoppstock, Axel Kossmann, Christoph Weinreich, Karl Finke und Bärbel Dietrich.

Mit seiner freundlichen, kommunikativen Art ist Christoph Weinreich für die älteren Menschen ein beliebter Ansprechpartner. Auch wenn Besucher ins Schloss kommen, sorgt er mit seiner guten Laune für einen positiven ersten Kontakt. "Ich habe Christoph auch noch nie schlecht gelaunt erlebt. Er strahlt immer und ist voller Tatendrang", berichtet auch Axel Kossmann, der Weinreich rund zehn Jahre bei der Lebenshilfe begleitete. 
Schon davor war im 30-jährigen Schöppenstedter das Interesse an der Seniorenbetreuung aufgekeimt. Er machte ein Praktikum im Awo-Heim "Im Kamp". Nach seiner Zeit in der Werkstatt machte er etwa ein Jahr ein Praktikum in seiner heutigen Arbeitsstelle. Anschließend war er Praktikant im Amalia-Sieveking-Haus Wolfenbüttel. Im Juni dieses Jahres klappte es endlich mit einer richtigen Anstellung. "Das Zwischenmenschliche reizt mich an der Arbeit besonders", sagt Christoph Weinreich. "Außerdem gibt es hier sehr nette Bewohner."
Doch was genau macht er als therapeutischer Assistent in der Seniorenbetreuung? "Christoph ist in einem Bereich eingesetzt, in dem es viele demenzkranke Bewohner gibt. Er steht ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung, macht mit ihnen Gesprächs- und Spielkreise, löst Rätsel und Gedächtnisübungen, geht mit ihnen spazieren und hilft bei der Verteilung der Mahlzeiten", schildert Bärbel Dietrich, Pflegedienstleiterin am Schloss Schliestedt.
Dabei setzt die Einrichtung Weinreichs Charakter und Kompetenzen optimal ein. Die pflegerische Qualifikation erwarb der Schöppenstedter bei einem Kursus "Alltagshelfer in der Seniorenhilfe", den die Lebenshilfe Braunschweig anbot. "Wir sind unglaublich stolz, dass er es so weit geschafft hat und dass er seinen Weg geht. Und wir sind dankbar, dass er die Chance bekommen hat, ein ganz normales Leben zu führen", erklärt Christophs Vater, Peter Weinreich.
Nun ist Christoph ein vollwertiges Mitglied der Seniorenbetreuung. Und ein Beweis dafür, dass eine völlige Integration von Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft inklusive der Arbeitswelt möglich ist. Und was die Leistungsfähigkeit betrifft: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit Behinderung oftmals eine gesteigerte Motivation haben und viele Arbeiten deshalb sogar schneller verrichten", entgegnet Resch-Hoppstock den Skeptikern.